Arbeitsmarkt: Offene Stellen auf Höchststand

Schweizer Firmen haben 200000 freie Stellen. Doch die Langzeitarbeitslosigkeit bleibt weiter hoch.

«Eine Anzeige zu schalten und auf Bewerbungen zu warten, funktioniert nicht mehr.»

Stattdessen müssen Schweizer Firmen immer aktiver werden und mit potentiellen Kandidaten schon früh die ersten Kontakte knüpfen. Das beginnt bereits an der Hochschule.

Die Zahl der offenen Stellen in der Schweiz hat dieses Jahr einen neuen Höchststand erreicht. Der Jobradar zählte im Mai nahezu 200000 ausgeschriebene Positionen. Dies entspricht einem Zuwachs von 13% innert Jahresfrist. Damit geht eine fast zehnjährige Durststrecke am Arbeitsmarkt zu Ende. Gemäss der Beschäftigungsstatistik des Bundes erreicht das Job-Angebot nun wieder den früheren Spitzenwert der Finanzkrise.

Am gefragtesten sind laut Jobradar die Pflegeberufe mit über 6000 offenen Stellen  – noch vor fünf Jahren waren es erst 3000. 

Der Jobradar sammelt und automatisiert sämtliche ausgeschriebenen Stellen, welche auf Websites von Arbeitgebern und Personaldienstleistern zugänglich sind. Die Universität Zürich misst nicht nur die offenen Stellen, sondern setzt diese zusätzlich in Relation zum Pool an Stellensuchenden, Daraus errechnet ein Team den sogenannten Kräftemangelindex. 

Auf die Gehälter allerdings hat der Stellen-Boom noch nicht abgefärbt. In den letzten beiden Jahren sind die realen, inflationsbereinigten Löhne sogar leicht gesunken. Die Rückkehr der Teuerung führt erst mit einer gewissen Verzögerung zu höheren Löhnen. Die Arbeitnehmer müssen sich wieder daran gewöhnen, bei Salärverhandlungen einen Teuerungsausgleich einzufordern. Darüber gewährten die Firmen vermehrt individuelle anstelle von flächendeckenden Lohnerhöhungen. Somit hängt das Gehalt zunehmend vom Verhandlungsgeschick des einzelnen Mitarbeiter ab.

Zudem sind nicht alle Berufsgruppen gleich begehrt auf dem Stellenmarkt. Zahlreiche Arbeitnehmer leiden vielmehr unter dem raschen Strukturwandel. Gemäss dem Fachkräftemangelindex besteht das grösste Überangebot in den Berufen der Reinigung, Körperpflege, dem Gastgewerbe, der Hauswirtschaft sowie auf dem Bau. Hier gibt es besonders viele Stellensuchende im Verhältnis zu offenen Stellen.

Vor allem dieje­nigen Tätigkeiten mit tiefen Qualifikationen laufen Gefahr, der Digitalisierung zum Opfer zu fallen. Das bedeutet, dass ein gewisser Anteil an Arbeitnehmern sogar bei einem starken Boom keinen Job mehr findet. Dies könnte eine Folge davon sein, dass sich die Arbeitswelt immer stärker spezialisiere und die Firmen gezielt nach Fachleuten statt nach Allroundern suchen. Fast 100000 Langzeitarbeitslose! Obwohl die Arbeitslosenquote in der Schweiz deutlich gesunken ist, hat sich die Lage für die Langzeitarbeitslosen kaum verbessert. Zurzeit beziffert das Bundesamt für Statistik die Zahl derjenigen, die seit länger als einem Jahr auf Stellensuche sind, auf über 90000 – das sind nach wie vor mehr als Ende 2014. Vor allem unter den älteren Arbeitnehmern steigt der Anteil der Langzeitarbeitslosen. Früher genügte es für Arbeitnehmer, wenn sie sich in ihrem Beruf à jour hielten. Doch Stellen auf Lebenszeit gebe es kaum noch. Stattdessen muss man bereit sein, sich allenfalls umzuschulen und in einem neuen Beruf oder einer anderen Branche Fuss zu fassen. Umso dringlicher sei es, dass der Staat und die Wirtschaft das Angebot für Weiterbildungen ausbauten.

Der demografische Wandel bewirkt, dass die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt stetig zunehmen. In den nächsten zehn Jahren gehen rund 700000 Erwerbstätige in den Ruhestand, während lediglich 500000 nachrücken.

Somit sehen sich die Arbeitnehmer zwei gegenteiligen Trends ausgesetzt: Auf der einen Seite stärkt die Pensionierungswelle die Verhandlungsmacht der Gutqualifizierten. Umgekehrt macht die Digitalisierung viele repetitive Jobs überflüssig. Das dürfte zur ­Folge haben, dass sich die Kluft zwischen den Gewinnern und den Verlierern auf dem Arbeitsmarkt weiter vergrössert.